Heinrich Deisl
Paul Ehrlich: Ariston
Das Ariston, einer der letzten – und einer der erfolgreichsten – mechanischen Musikapparate: Das kleine Zauberding, von den Leipziger Musikwerken hergestellt, erinnert frappant an Edisons Phonograph und verzückte in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Groß und Klein. 1876 hatte sich der 1849 in Reudnitz geborene Friedrich Ernst Paul Ehrlich im Alter von 27 Jahren selbstständig gemacht und, nachdem er ein Patent für Papplochscheiben erworben hatte, in Gohlis, einem damaligen Vorort von Leipzig, seine auf mechanische Spielmaschinen spezialisierte Firma gegründet. Um 1880 waren dort an die 90 Mitarbeiter beschäftigt. Das Ariston gehört zur Familie der Organetten und hatte 24 Tonstufen. Die 5kg schwere Tonzungen-Drehorgel war mit einem Kurbelantrieb versehen, der gleichzeitig einen Luftbalg und die gestanzte Papplochscheiben-Platte antrieb. So neu war diese Technik nicht ganz, sie basierte auf einer um 1730 entwickelten Apparatur, die ab Beginn des 19. Jahrhunderts bei mechanischen Webstühlen angewendet worden war. Ehrlich erwarb bis 1882 weitere 23 Patente und brachte schließlich im selben Jahr das Ariston auf den Markt, an die 460.000 Exemplare wurden bis 1910 verkauft und der Plattenkatalog umfasste rund 4000 Titel. Das Repertoire umfasste Walzer, Exzerpte klassischer Musik von Bach, Beethoven oder Mozart, »leichte«Unterhaltungsmusik, Märsche und Lieder. Das Gerät war so konzipiert, dass man es als repräsentatives Möbel für den Heimgebrauch verwenden konnte. Wie alten Gemälden zu entnehmen ist, wurde das Ariston wegen seines geringen Gewichts auch oft umgehängt und auf der Straße gespielt. Eine frühe Form eines tragbaren Plattenspielers also. Von Franz Defregger gibt es übrigens eine um 1890 entstandene zeitgenössische Darstellung des Aristons. Neben dem Ariston wurden in Ehrlichs Unternehmen auch das Aristonette mit 19 Tonstufen und das Helikon mit 16 Tonstufen gefertigt, die denselben Mechanismus aufwiesen, indes nur kleiner waren. Paul Ehrlich starb 1925 in Leipzig.
Bis 1885 war das Unternehmen überaus erfolgreich, ab dann begann der langsame Niedergang. Dies auch – oder besonders – wegen der neuen Musikabspielapparate, von denen besonders Edisons Phonograph hervorzuheben ist. Nachforschungen des Leipziger Autors Ralf Julke brachten zutage, dass von der ehemaligen Vorzeigefirma heute nichts mehr vorhanden ist, die Bombardierung von Leipzig im Zweiten Weltkrieg hat sämtliche Spuren der Leipziger Musikwerke AG getilgt. Julkes Bericht legt nahe, dass man bei den Musikwerken ähnlich verfuhr wie bei Krupp: » Die Noten auf den runden Pappscheiben ließ Ehrlich von armen Waisen und mittellosen Mädchen in Heimarbeit stanzen. Um Streiks und andere Folgen der »Irrlehre der Sozialdemokratie« zu vermeiden, bezahlte er seine Arbeiter deutlich besser als die Konkurrenz.« Die bayrische Drehorgelfirma Blümel fertigt nach wie vor Aristons aus bis zu 500 Einzelteilen an.