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Soundkarte Mockingboard v1



Norbert Math
Type A for Gunshot

Ein Computer der ersten Generation war natürlich alles andere als ein Alltagsgegenstand. Eben noch hatte der Riesenrechner Colossus in Bletchley Park den Sieg der Alliierten ermöglicht, indem er half, die Geheimcodes der deutschen Wehrmacht zu entschlüsseln. Auch wenn diese Tatsachen in den 1950er Jahren dem Militärgeheimnis unterlagen, arbeiteten die Konstrukteure im zivilen Bereich weiter. Jetzt war der Krieg vorbei, aber der neue brach aus – der Kalte Krieg. Wer, wenn nicht ein vollkommenes, ein elektronisches Gehirn, vermag diese äußere und innere Bedrohung zu bannen? Das Elektronenhirn wird gleichzeitig überhöht und vermenschlicht gesehen. Auch heute noch wird etwa der Datenspeicher im Englischen „Memory“, also Gedächtnis genannt.

Soundcard: mercury delay line memory for the UNIVAC I (Universal Automatic Computer), 1951Die Speicher der Computer der ersten Generation sind mit Quecksilber gefüllte Röhren, in denen Ultraschallsignale von einem Ende zum anderen gesendet werden. Am entgegengesetzten Ende angekommen, wird das Signal elektrisch verstärkt und wiederum in den Eingang gespeist. So entsteht ein Kreislauf von Informationseinheiten aus Schallwellen. Was liegt also näher, als einen Lautsprecher in den Schaltkreis zu hängen und diesen Datenströmen zu lauschen? Durch geschickte Transposition übermittelt der Lautsprecher, lautmalerisch treffend „Hooter“ genannt, Eindrücke vom Innenleben des Computers. Wenn der Lautsprecher den Zustand eines laufenden Programms ausgeben kann, lässt sich auch ein Programm schreiben, das in der Lage ist, gestimmte Noten zu summen. Diese Idee wurde wahrscheinlich zuerst in Australien realisiert. An der First Conference on Automatic Computing Machines in Melbourne 1951 wird erstmals eine vom Computer gespielte Musik aufgeführt. Das Programm beinhaltet Arien und Schlager, z. B. den Colonel Bogey March und Thank You for the Memory – ein Dank der Ingenieure für ein eben bewilligtes Speicher-Upgrade.1

In den 1960er Jahren entwickelt Max Mathews in den Bell Labs die ersten Programme, die die kompositorischen und klanglichen Potenziale des Computers auszuschöpfen beginnen (er ist einer der Ersten, der einen „Digital to Sound Converter“ benutzt, also eine Art Soundcard). Zur selben Zeit, ebenfalls in den Bell Labs von John Kelly, wird ein Sprachsynthesizer entwickelt, der dem Computer Sprechen und Singen ermöglicht. Kelly und Mathews demonstrieren dies mit einem alten Schlager, Daisy Bell, und Drehbuchautor Arthur Clarke ist dermaßen beeindruckt, dass er dieses Lied in einer Szene im Film 2001 – A Space Odyssey (Stanley Kubrick, 1968) verwendet: Der fiktive Computer HAL 9000, welcher die Mission eines Raumschiffes überwacht, versucht nach einem begangenen Fehler, die Besatzung zu töten, um dem Dilemma zwischen eigener Fehlleistung und seiner postulierten Unfehlbarkeit zu entkommen. Ein Mann überlebt und deaktiviert HALs Speicherzellen – die letzte Äußerung HALs, sein elektrischer Schwanengesang, ist Daisy Bell. HAL, dem Anspruch nach ein Nachfahre des kriegsentscheidenden Colossus, wusste nicht, dass es Unfehlbarkeit nur für stereotype, also unintelligente Aufgaben geben kann. „In other words then“, konstatierte schon Alan Turing, „if a machine is expected to be infallible, it cannot also be intelligent.“2

In den 1970er Jahren entstanden die ersten Systeme, welche Sound in Echtzeit ausgeben konnten. Ein frühes Beispiel ist das „Audio Sample And Hold“, welches Paul De Marinis in Abwandlung einer Idee von Don Buchla entwickelt hat. Analog zu den Quecksilberröhren der frühen Jahre wird hier Sound „eingefroren“ und kann transponierbar wiedergegeben werden. Die 1980er Jahre bringen uns den Computer ins Haus. HAL und Colossus schrumpfen zu Brotkästen. Die militärische Waffe wird zum Kriegsspielzeug, und es ist das Computerspiel, das nach einem Sound verlangt.3 Welcher Art, das wird im Handbuch der Soundkarte Mockingboard demonstriert: „Select SOUND EFFECTS DEMONSTRATION from the menu. […] Type A for GUNSHOT. […] Type B for MACHINE GUN.“4

Der Computer hat vielleicht den Weltkrieg beendet, aber er hat den kleinen Krieg ins Wohnzimmer gebracht.

Fußnoten:


1 Paul Doornbusch, The Music of CSIRAC: Australia’s First Computer Music, Altona (Vic.) 2005. Im Juni 2008 hat die BBC eine historische Aufnahme von Musik aus dem Ferranti Mark I veröffentlicht, die wenige Monate nach der Musik des CSIRAC entstanden ist (http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/7458479.stm; wie alle folgenden Links: Juni 2008).

2 Alan Turing zitiert nach Daniel C. Dennet, When HAL Kills, Who’s to Blame?, in: David G. Stork (Hg.), HAL’s Legacy: 2001’s Computer as Dream and Reality, Cambridge 32000, S. 363.

3 Steve Wozniak: „A lot of features of the Apple II went in because I had designed Breakout for Atari. […] I got this ball bouncing around, and I said, ‚Well it needs sound,‘ and I had to add a speaker to the Apple II. It wasn’t planned, it was just accidental …“ (http://apple2history.org/history/ah03.html).

4 http://8bitsoundandfury.no-ip.info/docs/MockingboardManual.html.

 
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