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Sprechmaschine



Brigitte Felderer
Mündigkeit

Speaking Machine: construction plan and layout by Jakob ScheidDie Konstruktionsweise der Sprechmaschine von Jakob Scheid folgt einer Bauanleitung, die der Erfinder der Maschine 1791 veröffentlicht hat: Im Mechanismus der menschlichen Sprache nebst Beschreibung einer sprechenden Maschine (Wien 1791) liefert Wolfgang von Kempelen (1734–1804) genaue Angaben zu einem Nachbau der Sprechmaschine.

Zwischen 1783 und 1785 hatte der Hofkammerrat seine Sprechmaschine in vielen Städten Deutschlands, aber auch in London und Paris präsentiert. Die Vorführungen liefen nach einem ähnlichen Muster ab: Kempelen bat das Publikum, einige Worte zu nennen und wiederholte diese dann mit der Maschine; am Ende der Vorführung öffnete er den Apparat und erklärte die einzelnen Bauteile. Kempelen wollte nicht nur seine Zeitgenossen verblüffen, nicht nur den Mechanismus der menschlichen Stimme erforschen – das Gerät sollte vor allem von aufklärerischem Nutzen sein und gehörlosen Menschen als ein Instrument zur Hervorbringung von Lautsprache dienen. Die Sprechmaschine zielte auf einen gesellschaftlichen Raum, der jenseits der Repräsentationsordnungen von „Spiegelsälen“ errichtet wurde: den pädagogischen, den therapeutischen Raum der Erziehung „neuer Menschen“. Hier wurden Vorbilder etabliert, die nicht wie in Kirchen oder an Höfen der Anschauung bedurften, sondern gewissermaßen der Anhörung.

Der Prozess solch pädagogischer Disziplinierung lässt sich besser in akustischen als in optischen Metaphern beschreiben. Beispielsweise ging es darum, das „Stimmrecht“ als Metapher politischer „Mündigkeit“ zu praktizieren; es ging um „freie Rede und Meinungsäußerung“. Das (maschinelle) Training der Gehörlosen verkörperte gleichsam das politische Grundinteresse der Aufklärung: den Versuch, den traditionell schweigenden Mitgliedern der Gesellschaft ein Stimmorgan zu verleihen – als „Hauptband der menschlichen Verbrüderung, die Grundfeste der Gesellschaft“1, so Kempelen. Kein Gesetz der Akustik, sondern genaues Hinhören steuerte jedoch die Handhabung der Maschine. Kempelens wissenschaftshistorisches Verdienst ist es, dass er den ersten ernsthaften Versuch unternahm, die einzelnen Laute nicht mit jeweils verschiedenen Pfeifen zu erzeugen, sondern den Ton einer einzigen Pfeife mit Hebeln, Ventilen und einem weichen Gummitrichter zu formen und zu artikulieren. Zum ersten Mal wurde die Entstehung der Töne auch nicht mehr allein in einer Nachbildung der Anatomie menschlicher Artikulationsorgane gesucht, sondern der entscheidende Schritt zu einer mechanischen und abstrahierenden Synthese gemacht.

Obwohl Jakob Scheid dem historischen Vorbild folgt, der Mechanismus ganz dem des 18. Jahrhunderts entspricht, kann doch nicht von einem bloßen Nachbau die Rede sein. Kempelen hatte vorgefundene Mechanismen und Bauteile aus unterschiedlichen Bereichen verwendet und mit einer neuen Funktion versehen. Scheid übernimmt dieses Prinzip der Bricolage und bezieht ebenfalls Alltagsprodukte ein, wie Silikon, Holzfaserplatten oder Plexiglas. Die Alltäglichkeit der verwendeten Elemente, die augenscheinlich wenig wertvollen Materialien, die Tatsache, dass der Künstler die Bestandteile „seines“ Instruments vor dem Publikum erst zusammensetzt, lässt die Maschinen-Stimme umso erstaunlicher und wohl auch unheimlich erscheinen, selbst für ein heutiges mediengewohntes Publikum, das körperlose Maschinenstimmen als mediale Selbstverständlichkeit kennt. Scheids Maschine legt das Unbewusste des aktuellen Mediengebrauchs frei und illustriert, dass wir gelernt haben, körperlose Stimmen auf die „Fernanwesenheit“ (Vilém Flusser) einer anderen Person zurückzuführen, aber nicht als eigenständige Identitäten zu akzeptieren. Der unheimliche Effekt der Sprechmaschine entsteht heute nicht mehr, weil uns Sprachsynthese neu und fremd wäre wie noch dem Publikum Kempelens, sondern weil Scheids Publikum nicht weiß, mit wem man es zu tun hat, wenn die Maschine zu sprechen beginnt.

Fußnoten:


1 Wolfgang von Kempelen, Mechanismus der menschlichen Sprache nebst Beschreibung einer sprechenden Maschine, Wien 1791, S. 26.

 
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