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Nußbaumer–System



Helmut Jäger
Erste drahtlose Übertragung von Musik

Otto Nußbaumer, geboren am 31. März 1873 in Wilten/Innsbruck, war in den Jahren 1901 bis 1907 Assistent, auf dem gehobenen Dienstposten eines „Konstrukteurs“, bei Professor Dr. Albert von Ettingshausen an der Lehrkanzel für Physik und Elektrotechnik der Technischen Hochschule in Graz. Unmittelbar nach seinem Studienabschluss bekam Nußbaumer die Anstellung an der Lehrkanzel. Im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeiten oblag ihm dann neben dem Praktikum u. a. auch die Vorbereitung der vielfältigen Demonstrationsexperimente für die Vorlesungen Ettingshausens. Unter diesen Experimenten waren auch solche, die im weiteren Sinn dem Gebiet der damals erst wenige Jahre alten Funkentelegraphie zu zählen sind.

Nussbaumer-System: sketch (detail) by the inventor from the Graz laboratory logbook. 1904Ausgehend von Experimenten mit dem sogenannten Singenden Lichtbogen, dessen elektrische Schwingungen Nußbaumer dem Eingangskreis eines Braun’schen Funkensenders zuführte, gelang es ihm, den Ton des Lichtbogens in einem einfachen Marconi-Empfänger – bestehend aus Antenne, Kopfhörer und einem Detektor – hörbar zu machen. Den Detektor hatte Nußbaumer eigens zu diesem Zweck entwickelt. Er bestand aus teilweise oxidierten Eisenfeilspänen, die zwischen zwei Elektroden eingebettet waren; wie später erkannt wurde, hatte er eine Gleichrichterwirkung. Durch diesen Erfolg angeregt, versuchte Nußbaumer in einem nächsten Schritt, Töne, die mit Musikinstrumenten erzeugte wurden, ebenfalls auf diese Weise zu übertragen. Er verwendete zwei etwas voneinander verschiedene Schaltungsvarianten. Im einfacheren Fall legte er in den Eingangskreis des Senders anstelle des Unterbrechers zum Induktor ein Kohlekörnermikrophon, das mit Stromstärken von einigen Ampere belastbar war. Nach langwierigen Vorversuchen hatte er am 15. Juni 1904 Erfolg: Töne von Musikinstrumenten, die er dem Mikrophon zuführte, wurden im Kopfhörer der Empfängeranordnung klar wiedergegeben, wobei unterschiedliche Musikinstrumente gut zu erkennen waren. Versuche, auch Sprache auf diese Weise zu übertragen, gelangen nicht. Das Schwingungsspektrum ist dafür, wie man heute weiß, zu kompliziert.

Nussbaumer SystemNußbaumers Experiment war überraschend. Der damaligen Lehrmeinung nach sollte eine derartige Übertragung mit einem Funkensender prinzipiell nicht möglich sein, weil ein solcher nur kurze, relativ weit auseinanderliegende hochfrequente Wellenzüge auszusenden gestattet. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit war Nußbaumer der Erste, dem eine drahtlose Übertragung akustisch erzeugter Töne mit hochfrequenten elektromagnetischen Wellen überhaupt gelang. Mit Sicherheit war er der Erste, der seine Erfindung in einer anerkannten wissenschaftlichen Zeitschrift1 veröffentlichte und, was ganz wesentlich ist, mit dessen Apparatur viele Jahre danach das erfolgreiche Experiment von anderen mehrfach wiederholt werden konnte. Seine Priorität in dieser Sache ist auch nie von irgendeiner Seite schriftlich beeinsprucht worden. Für die Entwicklung des Radios spielte seine Erfindung allerdings keine Rolle. Schon zwei Jahre danach gelang es Poulsen in Dänemark mit einem Lichtbogen-Schwingkreis und Fessenden in den USA mit einer Dynamomaschine, genügend hochfrequente kontinuierliche Wellen zu erzeugen und diesen akustische Frequenzen zu überlagern; nun war eine einwandfreie Übertragung von Musik und auch von Sprache möglich. Über die Art der vom Nußbaumer’schen Sender ausgehenden Wellen herrschte noch bis vor Kurzem Unklarheit. Erst bei neuerlichen Untersuchungen im Jahre 2004, die an der TU Graz im Rahmen einer Gedenkveranstaltung mit einer Wiederholung des Nußbaumer’schen Experiments durchgeführt wurden, gelang eine Aufklärung.

Otto Nußbaumer gab im Jahre 1907 seine Stellung an der Hochschule auf und trat nach einer einjährigen Tätigkeit beim Staatsbaudienst in Graz in das Bau-Departement der Landesregierung in Salzburg über. Nach einer Reihe von Jahren wurde er dort Vorstand der Abteilung für Maschinenbau und Elektrotechnik. Er verstarb am 15. Januar 1930.

Fußnoten:


1 In: Physikalische Zeitschrift, Bd. 5, 1904, S. 796.

 
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