Ariston
Christian Wittmann
Minuten-Musik
Das Ariston gehört zu jenen Musikinstrumenten, die auch „Organetten“ genannt werden. Organette ist ein Begriff für industriell gefertigte kleine Drehorgeln mit auswechselbaren Datenträgern (Scheiben, Bänder, Rollen) und durchschlagenden Zungen (Harmonikazungen). Die Trennlinie zwischen der echten Drehorgel, die Pfeifen für die Tonerzeugung verwendet, und der Organette ist schwer zu definieren, doch der wesentliche Unterschied liegt darin, dass Organetten für den Gebrauch im Haus bestimmt sind, wogegen die in der Lautstärke kräftigere Drehorgel für die Straße gedacht ist.
Organetten, die sich im späten 19. Jahrhundert aus der Drehorgel entwickelt haben, wurden in einer relativ kurzen Zeitspanne, von ca. 1880 bis 1920, in großer Stückzahl in Fabriken hergestellt. Das Ariston war damals vermutlich die am häufigsten gebaute Organette. Diese Instrumente, die in verschiedensten Größen und Ausführungen angeboten wurden, waren im Vergleich zu den mit Stiftwalzen ausgestatteten Drehorgeln relativ einfach gebaut; obwohl es sich hier um die ersten Hightech-Produkte handelte, ist es interessant, dass manche Organetten nach über hundert Jahren ohne besondere Pflege immer noch einigermaßen spielbar sind.
Einige erhaltene Verkaufskataloge von Musikalienhändlern der damaligen Zeit enthalten aufschlussreiche Informationen über die verschiedenen Fabrikate, Modelle und das Preisverhältnis zu gewöhnlichen Musikinstrumenten. Interessant sind auch Fachzeitschriften (besonders die
Zeitschrift für Instrumentenbau, Paul de Wit, Leipzig, ab 1880), in denen nicht nur mit Organetten im Zusammenhang stehende Annoncen, sondern auch Patentbeschreibungen zu finden sind, die den ungewöhnlichen Einfallsreichtum der Instrumenten-Konstrukteure widerspiegeln. Ein besonderes Beispiel stellt eben das Ariston-Patent von Paul Ehrlich dar, welches zur Folge hatte, dass andere Hersteller keine Instrumente bauen durften, die auch jene runden Lochplatten zum Abspielen der Musik benutzten. Es gab z. B. eine Erfindung, die eine quadratische anstelle der runden Platte vorsah; bei dieser Konstruktion drehte sich zum Abspielen der gesamte Mechanismus unter der fixierten Lochplatte. Verbreitet waren auch Organetten mit ringförmigen Scheiben als Datenträger. Es hatte fast jeder Hersteller sein eigenes System erfunden, was eine große Zahl an Patentanmeldungen zur Folge hatte.
Ähnlich wie bei anderen mechanischen Musikinstrumenten geben uns die erhaltenen Lochplatten und -bänder Aufschluss über die Musikvorlieben der damaligen Zeit. Zu manchen Organetten gibt es hunderte bis tausende verschiedene Platten, die sowohl bekannte Lieder des deutschen Sprachraums als auch Volkslieder und Hymnen anderer Kulturregionen enthalten.
Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA erfreuten sich Organetten allgemeiner Beliebtheit und wurden in großen Massen produziert. Die amerikanischen unterschieden sich von den europäischen Modellen vor allem dadurch, dass die Instrumente meist mit Papiernotenrollen oder -streifen zu spielen waren. Eine besondere Form stellt die „Roller Organ“ dar, weil hierbei die Musik auf kleinen Stiftwalzen gespeichert ist.