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Mellotron



Klaus Hollinetz
Die sanften Elektronen

Mellotron M400Wer kennt nicht die charakteristischen „Flöten“ des Beatle-Hits Strawberry Fields Forever1 oder die „Streicher“ in Moody Blues’ Nights in White Satin? Hier wurde erstmals ein Klang präsentiert, der auf ungewöhnliche Weise eine Brücke schlug zwischen einem noch immer als „außerweltlich“ empfundenen reinen elektronischen Sound und einem „humaneren“, mechanisch erzeugten Klang. Dieser dünne, fast ein wenig jaulende Ton, der gerade deswegen so magisch und unwiderstehlich auf die Zuhörer wirkte, war schon bald auf unzähligen Musikproduktionen zu hören. Mellotron hieß dieses faszinierende Instrument – und es verwendete erstmals im großen Stil Tonbänder zur eigentlichen Tonerzeugung. 2

Schon Pierre Schaeffer, ein Pionier der elektronischen Musik, erfand mit dem Phonogene ein Instrument, das mit einer Klaviatur und dem abgestuften Antrieb eines Tonbands präzise Tonhöhen erzeugen konnte. Doch erst mit dem polyphon zu spielenden Mellotron wurde dieser Technik zum Durchbruch verholfen. Das Instrument basiert auf dem 1962 entwickelten Chamberlin des gleichnamigen Erfinders, dessen Technik die Gebrüder Bradley in Birmingham aufgriffen und zur Serienreife entwickelten. Das Mellotron ist gewissermaßen ein erstes Samplingkeyboard, eine Art „früher Fairlight“. Die einzelnen, nicht in einer Schleife angeordneten und vom Hersteller vorproduzierten Bänder lassen es zu, auch Anlaute und perkussive Elemente zu verwenden – weil ja das Band beim Abspielen immer wieder von vorne beginnt, lang ausgehaltene Töne sind aber damit nicht möglich. Auch reagiert das Mellotron auf Tastendruck etwas verzögert, was schnelles Spielen verhindert. Diese Eigenheiten, zusammen mit der charakteristischen „wackeligen“ Wiedergabe, bilden jedoch dessen typischen Charakter.

Das ursprüngliche Mellotron, das ab 1964 in Studios zum Einsatz kam, wurde in erster Linie als Zuspieler für filmartige Effekte und zur Substitution von Instrumenten eingesetzt, vergleichbar den späteren digitalen Pendants. In mühevoller Kleinarbeit wurden die Bänder eingespielt, das Mellotron Mk2 beispielsweise war in der Lage, 18 Instrumentalklänge und 18 verschiedene Rhythmen zu reproduzieren. Mit den zwei Manualen konnte so der Klang einer ganzen Band hervorgebracht werden. Dieses komplexe Instrument wurde später in einer einfacheren Version weiterentwickelt; ab 1970 entstand mit dem M400 ein weltweiter Verkaufserfolg. Es war bald fester Bestandteil der Musikszene, obwohl es nur 35 Tasten besaß und lediglich drei verschiedene Klänge zur Auswahl hatte. Trotzdem man für jedes Instrument seine eigenen Klänge hätte produzieren lassen können, waren es gerade die bekannten Fabrik-Sounds (Flöten, Chor, Streichinstrumente), die den unverwechselbaren Reiz des Mellotrons ausmachten.

Klänge, die eine ganze Generation von Popmusik entscheidend mitgeprägt haben: Ob als magischer Gegenpol zu verzerrten Gitarren und pathetischen Stimmen in King Crimsons In the Court of the Crimson King oder zu verhallten Trommeln in Tangerine Dreams Atem – das Mellotron war aus vielen Art-Rock Produktionen nicht wegzudenken. Ikonographische Bilder wie das des Yes-Keyboarders Rick Wakeman, der mit wallenden weißen Haaren wild zwischen zwei weißen Mellotronen agierte, auf denen noch passenderweise zwei Mini-Moogs standen, waren Bestandteil der Popmusikszene Mitte der 1970er Jahre. Aber schon gegen Ende des Jahrzehnts war der Hype wieder vorbei, die wallenden Haare verschwanden, viele Bands schlugen nun andere Klänge an, denn in Punk und New Wave hatten die „sanften Elektronen“ wenig verloren. Das Mellotron, das in seiner Komplexität und technischen Anfälligkeit ohnehin ein Alptraum der Bühnentechniker gewesen war, wurde schnell von ersten String-Synthesizern und digitalen Samplern ersetzt.

Doch bis heute reißt die Faszination nicht ab. Digitale Simulationen, entschlossene Sammler und Musiker halten sie am Leben. Ein Nachfolger des populären M400 wird heute wieder gebaut, ausgestattet mit zusätzlichen Features wie einer per Drehknopf regulierbaren Tonhöhenkontrolle.

Fußnoten:


1 Brian Kehew / Kevin Ryan, Recording the Beatles, Houston (Texas) 2006.

2 Eine von vielen Websites über die Geschichte des Mellotrons: www.masterbits.de/mello_d.htm.

 
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