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Wurlitzer Sideman



Gert Prix
Bum Tschack Bum Bum Tschack

Wurlitzer Sideman: open casing, 1963Meine erste Begegnung mit einer Rhythmusmaschine ist mir noch in bester Erinnerung – ein schreckliches Erlebnis. September 1970: Im Radio sang jemand Monatsnamen, im Hintergrund hörte man einen seelenlosen Automaten dazu den Rhythmus klopfen – Dreivierteltakt in seiner abscheulichsten Form. Auslöser für diesen klangästhetischen Ausrutscher war eventuell der medial schon bekannte Bruderzwist im Hause Barry, Maurice und Robin Gibb. Zuvor, aber auch wieder nach der Versöhnung, nannte man sie The Bee Gees, der Song hieß August, October. War Robin für sein streitbedingtes Soloprojekt der Schlagzeuger abhandengekommen? Oder war es doch nur der Drang nach Innovation? Jedenfalls musste für die rhythmische Auflockerung von August, October eine Rhythmusmaschine herhalten.

Der Song ist in der Geschichte der Popmusik bestenfalls noch als Randnotiz vorhanden. Ganz im Gegensatz zum Wurlitzer Sideman, der als epochale Entwicklung bereits Ende der 1950er Jahre das Zeitalter emotionsloser Schlagwerker begründete. Wobei sein akustisches Endprodukt vielleicht nicht ganz so zu beeindrucken weiß, allerdings die technische Umsetzung.

Wurlitzer Sideman: circular disk divided radially into 48 sections, 1963Ein Groove ist ein zyklisches Ereignis. Also lag es nahe, den Sideman mit einer kreisrunden Scheibe auszustatten, welche radial in 48 Sektionen unterteilt ist – eine dankbare Zahl, um die wichtigsten Taktarten realisieren zu können. Diese 48 Sektionen mit ihren Kontaktpunkten entsprechen quantisierten Notenwerten, die von einem rotierenden Kamm abgetastet werden. Die unterschiedlichen Schlaginstrumente werden hingegen in konzentrischen Kreisbahnen dargestellt. Ein mehrstufiger Schalter verknüpft nun diese zweidimensionale Matrix und lässt daraus Rhythmen entstehen.

Wurlitzer Sideman: control panel, 1963Wen diese technische Umsetzung noch nicht wirklich beeindruckt, der möge die genial einfache, aber ebenso genial effiziente Tempo-Kontrolle in Augenschein nehmen: Eine gummierte Antriebsrolle verleiht der stupiden Formel U = 2r x π endlich einen nachvollziehbaren Sinn. Je nachdem, wo sie unsere kreisrunde Scheibe mit den vielen Kontaktpunkten berührt, verändert sich das Übersetzungsverhältnis und somit die Geschwindigkeit. Wem das jetzt aber alles zu technisch ist, der möge seinen Blick doch bitte auf das Bedienfeld des Sideman werfen und sich einfach an der dokumentierten Auswahl der angebotenen Rhythmen erfreuen: Bolero, Beguine, Foxtrott etc.

Der hier gezeigte Wurlitzer Sideman erreichte das Eboardmuseum erst vor ein paar Jahren. Ein netter Zufall sorgte dafür, dass er genau aus jener Gegend kam, in der die deutsche Wurlitzer-Niederlassung bis heute beheimatet ist. Diese Werkshallen hat der Sideman aber wohl nie von innen gesehen. Seine Geburtsstadt heißt vielmehr Corinth in Mississippi, sie spielte im Bürgerkrieg 1862 eine zentrale Rolle.

Beinahe hätte einst auch der Sideman das Zeug zum Konfliktauslöser gehabt – in Gewerkschaftskreisen. Man sah durch ihn ernsthaft den Bedarf an leibhaftigen Schlagzeugern und Rhythmikern bedroht. Ein paar Jahre später wiederholte sich eine ähnliche Argumenation bekanntlich im Zusammenhang mit dem Mellotron. Beide Instrumente haben aber nicht nur diese organisierte Anfeindung, sondern auch einige Jahrzehnte überlebt und sind heute Klassiker und begehrte Sammlerstücke.

 
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