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Bechstein, Carl


Carl Bechstein
*1. Juni 1826 in Gotha, † 6. März 1900 in Berlin

Neo-Bechstein-Flügel
Heinrich Deisl
Walther Nernst/ Carl Bechstein: Neo-Bechstein Flügel

Klavier, elektrifiziert: Beim Neo-Bechstein-Flügel handelt es sich um ein mit Tonabnehmern, Röhrenverstärker und Lautsprecher aufgerüstetes Klavier, bei dem die Saitenschwingungen mit Magnetspulen abgenommen wurden. Die Historie dahinter erweist sich als ein spannender Ausschnitt aus der deutschen Musik- und Technikgeschichte zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und den 1930er Jahren.

Carl Bechstein war ein Klavierbauer, der am 1. Juni 1826 in Gotha geboren worden war und der nach Lehraufenthalten in Berlin und Paris 1852 sein eigenes Unternehmen in Berlin gründete. Praktisch von Anfang an war Bechstein mit seinem Flügel Erfolg beschieden. Dies ist nicht nur auf sein gutes unternehmerisches Gespür zurückzuführen, sondern auch darauf, dass er um 1856 den Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow, einen Schüler von Franz Liszt und Richard Wagner, kennen lernte, mit dem er lange Zeit an der Verbesserung der damals als unzulänglich empfundenen Flügel arbeitete. In den Folgejahren baute Bechstein seine Firma immer weiter aus, bis zu 500 Bechsteins verließen das Werk. Neben Liszt und Wagner spielten auch Richard Strauß, Ferruccio Busoni, Eugen d’Albert, Bela Bartok, Wilhelm Furthwängler, Claude Debussy und Leonard Bernstein auf einem Bechstein. 1896 wurde ihm die Goldmedaille der Großen Berliner Gewerbeausstellung zuteil. Bechstein scheint eine Art »Popstar« unter den Klavierbauern gewesen zu sein: Nach seinem Tod am 6. März 1900 wurde von der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin ein Mokkatassen-Set mit seinem Konterfeit herausgebracht. In der brandenburgischen Stadt Erkner, dessen Ehrenbürger er war, gibt es das Carl-Bechstein-Gymnasium.

Bezugnehmend auf die regen Entwicklungstätigkeiten im Deutschland der 1930er Jahre, schreibt Peter Donhauser in seinem Buch »Elektrische Klangmaschinen« (2007): »Die Entwicklung des Neo-Bechstein zeigt stellvertretend, dass in den meisten Fällen besser von einer Entwicklungsgeschichte als von einer Erfindungsgeschichte gesprochen werden sollte.« Gut 30 Jahre nach Bechsteins Tod wurden seine Ideen wieder aufgegriffen: Unter der Leitung des 1921 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichneten Physikers Walther Nernst wurde an der Humboldt-Universität in Berlin an einer Aktualisierung des Flügels geforscht. Während die Firma Bechstein für die Mechanik zuständig war, kam von Siemens/ Telefunken das elektrotechnische Know-how. Weswegen das elektroakustische Piano auch als Bechstein-Siemens-Nernst-Flügel bekannt ist. Die Klaviersaiten wurden mittels Mikrohämmern angeschlagen und an den Verstärker konnten sowohl ein Radiogerät wie ein Schallplattenspieler angeschlossen werden. Wodurch die sich die Klangmöglichkeiten des Neo-Bechsteins exponentiell erhöhten. Ein Jahr nachdem das Trautonium vorgestellt worden war, sorgte 1931 der Neo-Bechstein-Flügel für einen Quantensprung innerhalb der Entwicklung von elektrischen Musikinstrumenten. Dies umso mehr, als zu dieser Zeit der Verkauf von Klavieren drastisch zurückgegangen war: Mit dem Neo-Bechstein wurde auf die veränderte Marktsituation reagiert mit dem Ziel, ein universelles Heiminstrument zu bauen. Rund 150 Neo-Bechsteins wurden gebaut. Es existieren allerdings nur noch eine Handvoll spielbarer Instrumente, eines davon steht im Technischen Museum in Wien. Mit dem in Berlin befindlichen Neo-Bechstein werden immer wieder avantgardistische Konzerte gespielt. Einer der bekanntesten aktuellen Interpreten auf dem Neo-Bechstein ist der Pianist Reinhold Friedl, Gründer der Berliner Formation Zeitkratzer.

 
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