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Sprechendes Papier



Nina Borisova
Propagandapapier

Talking paper: box and printed paper rolls with eight sound tracks. Circa 1940„Sprechendes Papier“, „Sprechendes Buch“, „Singendes Buch“ – mit diesen Begriffen bezeichnete man in den 1930er Jahren einen Vorläufer des Magnetophons. Bekanntlich waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Grammophonaufnahmen weit verbreitet. Doch auch wenn die akustische Wiedergabe der Grammophonplatten bereits große Vollkommenheit erreicht hatte, so stand doch die Frage der Verlängerung der Dauer der Aufzeichnungen und ihre Erschwinglichkeit im Raum. Zu Anfang der 1930er Jahre erschienen sowohl in Russland als auch im Ausland Veröffentlichungen über die Möglichkeit der Herstellung billiger Apparate, die für die Wiedergabe von Tonaufzeichnungen – musikalischer als auch gesprochener – Papierstreifen (entsprechend den Filmstreifen) verwendeten. Als Haupterfinder des Sprechenden Papiers in Russland gilt Ingenieur B. P. Skvortsov.

1931 schloss das Volkskommissariat für Post- und Telegraphie einen Vertrag mit den Erfindern über den Bau von drei Versionen des Apparats: eines stationären für die Übertragungsstationen des Volkskommissariats, einer leichteren Variante für Klubs und kleine Sendestationen von Kolchosen usw. sowie eines preiswerten Modells – für die breite Masse als Ersatz für das Grammophon. Vom erzieherischen und propagandistischen Standpunkt aus hielten die sowjetischen Machthaber die Verbreitung des Sprechenden Papiers über das gesamte Land für sehr wichtig. Davon zeugt auch, dass im Jahr 1934 das Komitee für Erfindungen die Produktionstests von „fünf besonders wichtigen Erfindungen“ beschleunigte – darunter auch das Sprechende Papier Skvortsovs und Svetosarovs, die auf eine Auszeichnung verzichteten und ihre Erfindung dem 17. Parteitag zum Geschenk machten.

1937 wurde der OGIZ (Vereinigung der staatlichen Verlage) die Umsetzung der Erfindung übertragen: die Entwicklung von Industriemustern der Apparatur und die Herstellung polygraphisch vervielfältigter Phonogramme unterschiedlichen Inhalts. Durch eine Verfügung des Leiters der OGIZ wurde die Organisation des Laboratoriums „Sprechendes Papier“ der Werkstätte Poligrafkniga übertragen. Gleichzeitig begann die Entwicklung eines einfachen tragbaren Apparats, der als Kompaktgerät konstruiert wurde – einschließlich Verstärker und Lautsprecherbox. Von dem Laboratorium wurden mit Erfolg zwei Modelle entwickelt: ein Anbaugerät, welches zusammen mit einem beliebigen Funkempfänger verwendet werden konnte, und ein „Kombi“ auf Basis des in diesen Jahren populären Empfängers 6H25; gleichzeitig arbeitete die Druckerei auf Hochtouren. Bis Anfang 1941 wurden 150 Bänder unterschiedlichen Inhalts produziert. Jedes Band hatte eine Spieldauer von 50 Minuten und kostete einen Rubel. Im Vergleich dazu kostete eine Schallplatte drei bis fünf Rubel bei einer Spieldauer von lediglich insgesamt 20 Minuten.

Im Moskauer ZUM (Zentrales Universalkaufhaus) an der Petrovkastraße wurde eine eigene Verkaufsnische für das Sprechende Papier und die dazugehörigen Bänder eingerichtet, Zeitungen bewarben die Apparate, die ab Juni 1941 in den Universalkaufhäusern der großen Städte angeboten werden sollten. Dann kam der Juni – und mit ihm der Krieg. Es ist verlässlich bekannt, dass nach Kriegsbeginn niemand mehr Sprechendes Papier herstellte. Mehr noch: Im Prozess der Evakuierung ging ein Teil der technischen Dokumentation, die die Serienproduktion der Apparate sicherstellen sollte, bei Bombenangriffen verloren.

Die noch vor Kriegsbeginn hergestellten Phonogrammspulen mit ihren acht Tonspuren wurden später im Handel als Kassa-Rollen verwendet, um Papier zu sparen. So eine „Rechnung auf Tonspurenpapier“ bekam in den 1950er Jahren der ehemalige Leiter des Laboratoriums als Quittung für seinen Einkauf im Moskauer Lebensmittelgeschäft Gastronom am Arbat.

 
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