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Terpsiton



Andrej Smirnov
Temperiertes Tanzen

Terpsitone: Clara Rockmore performing on the terpsitoneDas Terpsiton ist eine der ungewöhnlichsten Varianten des Theremins1, mutierte doch die Stabantenne zu einer isolierten Metallplatte, die sich unter einem großen Tanzpodest befindet. Es wird auch nicht mehr auf klassische Weise durch Handbewegungen, sondern mit dem ganzen Körper gespielt! Je weiter man sich im Tanz nach unten in Richtung Podest neigt und dadurch die elektrische Kapazität erhöht, umso geringer wird die Frequenz des Röhrenoszillators und umso tiefer der erzeugte Ton; stellt man sich hingegen auf die Zehenspitzen, wird die Frequenz des Oszillators und somit auch der Ton erhöht. Die Töne werden also durch tänzerische Bewegungen moduliert, wobei Pose und Klang synchron zueinander variieren. Schon das Senken eines Arms oder das Heben eines Beins bewirkt eine hörbare klangliche Veränderung.

Die konzeptionelle Schönheit dieser Erfindung stand außer Frage, es gab nur keine Tänzer oder Tänzerinnen, die das Instrument tatsächlich spielen, die also „temperiert tanzen“ konnten, so wenig korrelieren musikalisches Gehör und tänzerische Bewegung. Lew Termen hatte die erste Tanzbühne in den frühen 1930er Jahren gebaut. Damit er sie im Frühjahr 1932 in der Carnegie Hall auch präsentieren konnte, musste er sich an die Theremin-Virtuosin Clara Rockmore wenden, die nicht nur ein absolutes Gehör hatte, sondern auch sehr gelenkig war.

Termen hatte wahrscheinlich bereits Mitte der 1920er Jahre erwogen, so ein Instrument zu bauen. Auf einem Plakat kündigte er 1924/25 nämlich an, dass er die Beziehung zwischen Musik und menschlicher Gestik demonstrieren werde. In den 1930er Jahren existierten mehrere Varianten des Terpsitons, die jeweils eigene, erweiterte Spielmöglichkeiten boten. So gab es ein Modell, bei dem sich die Antenne für die Lautstärke zusammen mit einem Lautsprecher hinter dem Tanzpodest befand, sodass man je nach Abstand zur Antenne die Intensität des Tones beeinflussen konnte. Einige Terpsitons waren mit zusätzlichen Geräten zur Wiedergabe von Hintergrundmusik ausgestattet, zu der die Tanzenden spielten. Andere wiederum waren mit einer Art automatischem Beleuchtungssystem kombiniert, das die optische Anzeige der Töne durch verschiedenfarbige Lampen ermöglichte Terpsitone: wiring diagram signed by the inventor, 1978(„visual note indicator“). Dafür war allerdings ein teilweise mechanisches Verfahren erforderlich, bei dem hinter jeder Lampe ein gestimmtes Blättchen vibriert, sobald ein bestimmter Ton erklingt, und dadurch jenen Stromkreis schließt, in dem die Lampe liegt. Die durch die tänzerischen Bewegungen produzierten Klänge wurden somit durch aufblitzenden Lampen – eine für das A, eine für das C etc. – auch sichtbar gemacht.

In der Presse wurde das Terpsiton immer wieder als misslungenes oder noch nicht ausgereiftes Projekt beschrieben – was nicht ganz den Tatsachen entspricht, arbeitete doch in den USA eine Tanzgruppe sogar einigermaßen erfolgreich mit mehreren Terpsitons. Lavinia Williams, ein Mitglied dieser Gruppe, war mit Lew Termen verheiratet.

In der UdSSR baute Termen in den frühen 1960er Jahren am Staatlichen Moskauer Konservatorium ein Terpsiton, das einen ganzen (kleinen) Raum im Akustischen Labor einnahm, wo er eine Forschungsgruppe leitete. Harold Schonberg schrieb darüber 1967 in seinem bekannten Artikel in der New York Times: „Er [Theremin] führte den Besucher in einen Raum mit einem kleinen Tanzboden. Leon Theremin stand auf diesem Boden, hob seine Arme, führte verschiedene Bewegungen aus und begann, aus dem absoluten Nichts die Elegie von Massenet zu spielen. Der Raum war von Klängen erfüllt, es war richtiggehend gespenstisch. Keine Kabel, keine Apparaturen, nichts, das man sehen konnte. Bloß elektromagnetische Zauberei.“2

Das letzte Terpsiton wurde von Termen 1978 für Lidia Kavina gebaut und befindet sich nunmehr im Theremin Center im Moskauer Konservatorium.

Fußnoten:


1 Vgl. Albert Glinsky, Theremin – Ether Music and Espionage, Urbana 2000.

2 New York Times, 26. 4. 1967.

 
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